Momentaufnahme

Manchmal bleibt der Eindruck eines Bildes im Kopf hängen – genauso wie der einer Melodie oder eines Wordings. Man spricht von Ohrwurm, Meme, vom Bild vor dem inneren Auge. Selbst bei denjenigen, die entsprechende Bilder, Melodien und Merksätze in die Welt setzen, bleibt es manchmal irgendwie hängen. So blieb bei mir nach dem letzten Beitrag das Bild des Davidsterns vor dem inneren Auge hängen – und noch mehr blieb hängen das Bedürfnis, mehr zu diesem Symbol zu sagen.

Eigentlich hab ich dieses Bild (das Design oben) noch früher gemalt – ohne eine besondere Absicht, einfach als Zeitvertreib. Und dann kam das Thema mit Kosak und David

Jedenfalls wollte ich auf dem Bild Davidstern-ähnliche Formen in „natürlichen“ Gegebenheiten „sehen“. Das war so ein Gedankenspiel, so wie es sich anfühlte. Also spielte ich mit diesen Gedanken, kritzelte und „sah“ die entsprechende Form quasi aus einer Höhle (das ist die schwarze Fläche unten und seitlich). Aus dieser Höhle sieht man auf dem Bild ein breites und weites Plateau aus Sand, am Horizont einen Berg und dahinter den blauen Himmel. Die Form des Davidsterns liegt also genau da in der Höhle, in dem Moment, in welchem man auf den Berg schaut. Wäre man aus der Höhle raus, hätte man die Form nicht vor Augen. Wäre man weiter unten auf dem Sand, hätte man die Form ebenfalls nicht gesehen. Wäre man auf dem Berg am Horizont, hätte man es auch nicht. Die Form sieht man in der Momentaufnahme – im Hier und Jetzt. Da, wo es passt. Diese Momentaufnahme entsteht so wie das menschliche Gehirn selektive Wahrnehmung an den Tag legt – da, wo es passt, auch wenn es unbewusst ist.

„Wo es passt“ hat nichts mit Wunschkonzert zu tun, auch nicht mit Manipulation – es ist tatsächlich der Moment, wo es passt.

Davidstern

Über Davidstern kann man heute viel lesen und hören. Für die einen ist es einfach ein Staatssymbol – ein Wappen. Für die anderen repräsentiert es alle Menschen jüdischer Abstammung. Für die dritten hat der Davidstern eine zutiefst religiöse oder sogar mystische Bedeutung. Beispielsweise erzählen solche Menschen, dass in den zwei identischen, doch entgegengesetzten Dreiecken das Verhältnis zwischen dem Göttlichen, einer höheren Schöpfungskraft und dem Menschen zu sehen ist – „wir sind von der höheren Kraft erschaffen und kehren zu ihr zurück“. Das klingt zwar fast wie das berühmte „wie oben, so unten“ aus den Filmen über böse Geister, doch nimmt es einen gedanklich schon mit und lässt irgendwo nachgrübeln. Nun, Mystik hin oder her, sehen Menschen in dem Davidstern ganz Unterschiedliches.

Vor ein paar Jahrhunderten sahen viele in diesem Symbol den aufstrebenden, einigenden, stolzen Geist der Menschen, die auch – wie alle anderen um sie herum – einen eigenen Staat haben wollten. Vor etwa 80 bis 90 Jahren war der Davidstern eine „Schande“, die man den Menschen jüdischer Abstammung vorne auf ihre Kleidung – ganz plakativ – aufnähte, und zwar ohne Grund, einfach weil politische Propaganda es so weit trieb. Diese Menschen wurden als „niedere Rasse“, als „Betrüger“, als „Geizhälse“, als „Christkind-Mörder“ abgestempelt, bespuckt, geschlagen, geschändet, beraubt, vergewaltigt, verkrüppelt, gefoltert, missbraucht, getötet – einfach, weil sie so geboren waren, als Juden. Der Davidstern leuchtete an ihrer Brust als „Beweis“ für all die Verschwörungstheorien.

Vor zirka 75 Jahren gab es die Gründung des Staates Israel im Nahen Osten, wonach sehr viele Holocaust-Überlebende dorthin zogen, um ihr Zuhause mit Ihresgleichen aufzubauen – sie gingen durch moderne Kriege, die sie gewonnen haben, sie gingen durch politische Spielchen des Ostens und Westens, die sie überstehen konnten, sie erschufen eine wunderschöne Architektur, eine aufstrebende Wirtschaft, eine starke Kultur. Menschen aus unterschiedlichsten Ecken der Welt zogen hin und brachten ihre Erfahrungen mit, um gemeinsam das Leben aufzubauen. Wenn man früher von Nazis bestimmte Theorien über Juden-Aussehen hörte, so wurden diese spätestens jetzt an diesem Ort zunichte gemacht. Äthiopische Juden, osteuropäische Juden, amerikanische Juden, spanische Juden, Juden aus Kaukasus oder anderen Ecken der Welt waren jetzt hier versammelt und sahen sehr unterschiedlich aus. Innerhalb der letzten 75 Jahren verbanden daher immer mehr Menschen den Davidstern mit Fortschritt, Technologie, Wirtschaft, starkem Militär und vielen Dingen, die in der modernen Welt von Bedeutung sind – Dank den Bemühungen von den Holocaust-Überlebenden hat man vergessen, wie viel unschuldiges Blut, vernichtete Existenzen und Grausamkeit unter dem Stern zu sehen waren.

Sicher gibt es auch heute andere Sichtweisen. Es gibt immer noch den unerklärlichen Judenhass in Europa, unter den Menschen, die an „reiche Juden, die Welt regieren“ glauben. Es gibt Menschen, die all die Nazipropaganda von ihren Omas und Opas aufgesaugt haben – ganz privat, dafür aber tiefgreifend. Es gibt Menschen, die meinen, Juden hätten ihr Land annektiert, nachdem sie ihnen das Land selbst verkauft haben. Es gibt Menschen, die behaupten, Juden haben ein Land angegriffen und es erobert, was nicht der Fall war. Es gibt Menschen, die ihren Judenhass kleinen Kindern eintrichtern – und zusehen, was erwachsene Terroristen danach anstellen. Beispiele dafür gab es in Israel schon seit Jahrzehnten, das jüngste davon am 8.Oktober im letzten Jahr. Auch das alles sehen Menschen, wenn sie den Davidstern vor sich haben.

Schließlich sehen manche auch alle Fehler, die Menschen jüdischer Abstammung im Laufe ihres Lebens machen können, und zwar als „Beweis“ für die Propaganda gegen alle – auch wenn es sich bei jeglichen Fehlern um Einzelfälle handelt, höchstens um Verhalten kleinerer Gruppen, die weder für Juden als Ethnie noch für das Land Israel repräsentativ sind. Das Herz wird schwer. Die menschlichen Fehler…

Die Perspektiven bei der Betrachtung des Davidsterns sind unterschiedlich und ändern sich in Raum und Zeit ausdrücklich – ich behalte mal die meine, die aus der Höhle, zumindest für eine Weile noch. Irgendwie gibt es ein Gefühl der Hoffnung.

Erstaunlich ist es, wie viel in einem Bild stecken kann.