Gedicht

Haben Sie auch den Eindruck, dass Gedichte und insgesamt die Poesie heute irgendwie fehl am Platz ist? Dass man damit kein Geld verdienen kann? Ich habe diesen Eindruck. Wo findet man heute die Gedichte? Selten kauft sich jemand ein älteres Werk, einen Klassiker wie Goethe oder Shakespeare, oder vielleicht auch mal Puschkin oder sogar Schewtschenko (nein, nicht den Fußballspieler). Die Zeiten, in welchen solche Werke das Publikum im Atem hielten, sind eigentlich vorbei. So empfinde ich das zumindest. Ja, es gibt sicher auch moderne, zeitgenössische Dichter. Und ihre Werke kann man sicher finden, in Bibliotheken, in manchen Buchhandlungen (eher auf Bestellung), in Internetshops. Doch im Vergleich zu Mainstream-Literatur sind die Gedichte eigentlich am Aussterben. Die machen einen so unbeachtlichen Prozentsatz im Markt-Sortiment aus, dass es einem fast wehtut. Die sind zu einem Special-Interest Produkt geworden. Diese sind in der Regel sehr wenige, weil es wenig Nachfrage gibt. Dazu kommt noch, dass die Preise für solche Literatur eigentlich schmerzhaft niedrig sind. Ich kann mir nicht vorstellen, dass Dichter heute davon leben können. Was sagt es eigentlich aus, wenn die Preise für ein Produkt sehr niedrig sind und das Produkt weniger Nachfragende hat? Das heißt vor allem eines, nämlich dass man den Wert in solchen Produkten nicht mehr sieht. Den heutigen Beitrag und das Design möchte ich genau diesem Problem widmen.

Was ist ein Gedicht

Ich glaube, wir sind uns alle darüber einig, dass ich kein Literatur-Professor bin und ich werde daher keine eigenen Definitionen von Gedicht schreiben. Die meisten verstehen darunter einen Text, der eine gereimte Geschichte erzählt. Eigentlich muss nicht mal der Reim da sein – es gibt Gedichte, die so aussehen, als ob jemand es einfach ganz normal daher erzählte, umgangssprachlich. Gedichte sind selten mit juristischen Texten zu vergleichen, man sieht sie eher als Gegenteil davon, frei. Man muss bei einem Gedicht nicht mal Sprachregeln wie Grammatik beachten. Man muss in einem Gedicht nicht das sagen, was man dann auch noch mit Taten oder Beweisen belegen kann oder muss. Man sollte sich beim Dichten lediglich im gesetzlich erlaubten Rahmen bewegen, was so viel heißt, dass man beispielsweise keine politische Hetze treiben soll, keine üble Nachrede, keine Beleidigungen hin dichten und so weiter. Übrigens, Dichter haben es mit den Gesetzen nicht immer so ernst genommen. Wenn sie von jemandem „Arschloch“ dachten, schrieben sie es auch so hin. Es sind dann eher die Redaktoren in Verlagen, die ihnen doch alternative Ausdrucksweise ans Herz legten.

Was ist der Wert von Gedichten

Die Gedichte sind, so zu sagen, ein künstlerischer Ausdruck der Gefühlswelt, der Erlebniswelt, der Wahrnehmungswelt von Menschen. Die bringen einen zum Nachdenken, zum Mitfühlen, begeistern einen mit einem gelungenen Reim, lassen sich sogar wie ein „Meme“ merken und wie ein Ohrwurm begleiten sie einen durch den Tag. Die können manchmal wie eine Wahrnehmungsbrille dienen. Und es ist spannend die Welt dadurch zu sehen. Sehr oft erzählen Gedichte von starken Gefühlen, von Liebe, die so stark sein kann, dass einem Atem wegbleibt, von Schmerzen, die einen erstarren lassen, von Ungerechtigkeit, von Hass, von Freude und Neugier. Die Gedichte lassen die Menschen diese Gefühle nachempfinden. Es ist wohl offensichtlich, dass die Gedichte einen hohen Wert haben. Sie haben es genauso wie ein guter Film im Kino.

Wo findet man heute die Gedichte, die nachgefragt werden?

Der oben erwähnte Eindruck, dass die Gedichte aus unserem Leben verschwunden sind, täuscht. Denken Sie mal kurz an populäre Musik. Ich meine jetzt die Musik, wo Menschen auch singen. Jedes Lied ist ein Gedicht. Und damit Sie auch wirklich den Text hervorgehoben sehen, denken Sie an Rap oder Hiphop. Ja, diese Gangster-ähnliche Gestalten im Fernseher erzählen manchmal ziemlich interessante und dramatische Gedichte und manche tun das wirklich meisterhaft. Diese Art der Musik genießt eine hohe Nachfrage.

Eine andere, moderne Art der Dichterkunst, die leider wenig nachgefragt wird, ist Poetry Slam. Falls Sie nicht wissen, was das ist: Dichter versammeln sich auf einem Event (eher live als online) und lesen ihre Gedichte vor – eigentlich läuft es sogar als Wettbewerb ab. Die Gedichte, die man da mitbekommt, sind in aller Regel um Einiges tiefsinniger, länger und in einem sehr fein ausgearbeiteten Sprachstil gehalten. Ein Hiphop Song würde dafür nicht genug Zeit bieten.

Und ansonsten findet man die Gedichte nur im Privatumfeld. Jemand schreibt an seine Freundin, weil er verliebt ist. Jemand schreibt für seine Heimat, die gerade unter Raketenbeschuss steht. Jemand schreibt über Gedanken und Erlebnisse, die zutiefst bewegen. Aber dann war’s das wohl…

Wenn Dichter früher die ganzen Gesellschaften und Zeitgeister bewegten, schreiben sie heute entweder für Rap eine ziemlich abgespeckte Meme-Kunst oder eher etwas fürs stille Kämmerchen und erlesene Genießer.

Schon wieder Artificial Intelligence?

Und als ob es nicht genug wäre, kommt jetzt auch noch die hochgelobte Künstliche Intelligenz ins Spiel – sie kann es heute wohl auch. Hier können Sie mal ein paar Beispiele für Tools finden. Probieren Sie es mal ruhig aus. Ich habe es ausprobiert. Erst einmal war ich natürlich begeistert, dass die KI so etwas überhaupt kann. Doch mit einigen mehreren Tests wurde mir klar, dass die Muster, die das Tool verwendet, immer fast dieselben bleiben. Um es mit technischer Sprache auszudrücken, könnte man sagen: die Trainingsdaten sind noch zu wenige gewesen. Eine Maschine – sei sie auch so „intelligent“ – handelt nach Regeln, die sie sich aus den sich wiederholenden Abläufen merkt und zu den so genannten Prompts zuordnet, und zwar genauso, wie es ihr von den Programmierern vorgegeben wird. Diese Maschine nimmt die Welt nicht auf allen Kanälen – bewusst und unbewusst – wahr. Diese Maschine verarbeitet die Eindrücke und Erfahrungen mit Sicherheit nicht emotional. Diese Maschine verwendet nicht mal alle Lernmethoden, die ein menschliches Gehirn kann – und auch tut sie die Welt nicht nach denselben Regeln erkennen. Sie kann es einfach nicht. Daher wird sie die Dichter auch nicht ersetzen. Sie dichten wohl zu individuell, zu tiefgründig, zu komplex, zu alternativ. Doch natürlich tun sie das nicht so schnell wie eine Maschine – das ist streng genommen, ihr größter Vorteil.

Wo ist das Problem?

Nun, ist das Problem wahrscheinlich nicht in AI. Auch scheint es nicht so sehr an angeblich fehlendem Wert von Gedichten zu liegen. Es liegt eher an technologischen Entwicklung der Welt – glaube ich. Menschen lesen heute so viel – in ihrer Arbeit, in der Presse, in irgendwelchen Unterlagen und Verträgen und AGB’s –, dass sie ganz einfach lesefaul, oder sogar lese-müde geworden sind. Hören und sehen ist einfacher. Man kann sich ein Youtube-Video reinziehen oder ein Podcast anhören. Doch warum werden da nicht so viele Gedichte angeboten? Eventuell fehlt bei puren Gedichten der mittlerweile so gewöhnlich gewordene Spaßfaktor, den die Überreizung der heutigen TV-, Radio- und Internet-Angebote bieten. „Nur der Content“ ist langweilig geworden. Menschen bilden sich ein, so viel zu wissen – die sind doch modern und gebildet –, dass sie auf tiefe Erlebnisse und komplexe Erklärungen von anderen gar nicht hören wollen. Wie arrogant. Wie schade. Traurig. Hoffentlich wird man wenigstens bei dem Design lächeln.